Montag, 4. April 2011

Mein erster erfolgreicher Marathon

.. Ende November - Tempotraining mit Daniel, dem Einpeitscher: Morgens um 6:30 Uhr in völliger Dunkelheit und Arscheskälte. Aus der Hüfte geschossen fragt er mich, wie es denn nun endlich mit einem netten kleinen Marathon wäre. Ich presse gequält hervor (während des Tempotrainings immerhin!), dass der Hamburg Marathon erst im Mai anstünde. Da rückt er damit heraus, dass Hamburg für mich noch nicht in Frage käme. Ich solle erst einmal woanders laufen und er hätte da schon mal was vorbereitet (is ja wie im Maggi Kochstudio).

Es stehen drei Marathons zur Auswahl: Ende Februar in Kiel, Anfang Mai in Hannover oder Ende Mai in Stockholm. Ich habe die freie Auswahl. Na gut, nuschele ich gequält, Hannover geht nicht, da sind zu viele Kollegen und Stockholm geht auch nicht, da verstehe ich die Sprache nicht. Bleibt also nur Kiel. Aber das sind ja nur noch 3 Monate !!!!

Vermutlich um mich zu beruhigen, verspricht Daniel, den Marathon mit mir zusammen zu laufen. Na, das ist doch was - aber kann er überhaupt 7 Stunden am Stück durchgehend laufen? Normalerweise ist er doch immer nach 2 einhalb Stunden fertig ...

Also ab in die Trainingsvorbereitung! Mindestens 2 lange Läufe im Monat, 60 km pro Woche - ist ja bald vorbei, Mädel. Ich wollte doch nur einmal im Leben einen Marathon laufen und dann bin ich diesen Quälgeist wieder los (dachte ich). Ich weiß noch, wie ich Heiligabend durch ein sibirisches Schneegestöber 25 km gelaufen bin. Während andere festlich gekleidet in ihren Autos sitzen und zu Stollen und Gänsebraten fahren, kämpfe ich mich durch Hamburgs winterliche Schneelandschaft. Würde zu gerne wissen, vor was die Kenianer so erfolgreich weglaufen. Gibt es in Kenia eigentlich Schnee?

Mehrmals habe ich mit meinem Trainer exessiven Lauf-Vorbereitungs-Streit. Insbesondere über die Zielzeit. Ich alpträume natürlich wieder davon, dass bereits abgebaut wird, wenn ich im Ziel ankomme. Mein Trainer rastet bei solchen Gedanken neuerdings richtig aus. Nun habe er extra einen Marathon herausgesucht, bei dem es keine zeitlichen Limits gibt und ich rede schon wieder davon, was ich es nicht schaffe. Er hat es aber auch manchmal schwer mit mir. Immerhin nehme ich mir vor, die Leistungsdiagnostik diesmal nicht anzuzweifeln.

Eine Woche vor dem Start nochmal zu Heiko, dem Leistungsdiagnostiker. Er hängt mich an Schläuche und Messgedöhns und berechnet den Marathonpuls. Was es heut' nicht alles gibt! Sportmediziner mit gerätegestützter Kaffeesatzleserei - Wahnsinn! Er gibt mir einen Zettel für Daniel mit, auf dem er weissagt, ich könnte den Marathon zwischen 5:05 h und 5:12 h laufen. Der hat doch wohl den Schuss nicht gehört! Um mir Vorträge zum Thema 'Blut lügt nicht' zu ersparen, kommentiere ich das nicht weiter. Was ist bloß aus mir geworden. Vom militanten Basis-Demokraten zum Mitläufer. Politisch ein absolutes NoGo - sportlich aber weniger anstrengend.

Wenigstens bin ich diesmal nicht krank. Nicht mal Durchfall - niente, nada! Körperlich bin ich anscheinend schon gestählt. Neuerdings mache ich zusätzlich noch Mentaltraining. Das darf man eigentlich niemandem erzählen. Fragen Sie mich nicht, wie das funktioniert - Scheint aber auch zu helfen. Jedenfalls laufe ich jetzt noch besser neben meinem Trainer her als früher. Und ich bleibe auch nicht mehr so oft stehen und schimpfe: wozu das alles? ich hör auf mit dem Scheiß! ich kann das nicht!... kommt nicht mehr über meine Lippen.

Zwei Tage vor dem Start ruft mich der Trainer an und eröffnet mir, dass er leider für diesen Lauf ausfällt. Er sei gerade bein Laufen 'umgeknickt'. Na auf sowas falle ich doch nicht rein! Ich gebe ihm zu verstehen, egal was passiert, ich laufe diesen Marathon, mit oder ohne ihn. Manchmal habe ich aber auch eine große Klappe!

Am Abend vor dem Marathon werde ich höchstdarselbst angewiesen, morgens um 7:00 Uhr pünktlich Nudeln mit Ketchup zu essen. Ich bin dann tatsächlich noch einmal losgefahren, um Ketchup einzukaufen. Wie eklig!

Gut geschlafen (ich gönnte mir abends noch 2 Weizenbier) und aufgeregt wie ein Teenie vorm ersten Date, starte ich am Samstagmorgen Richtung Kiel. Selbstverständlich kann ich zu dieser Zeit noch keine Nudeln runterwürgen. Immerhin schaffen es dann 2 Toasts mit Honig bis in den Magen. Das muss langen. Daniel ist pünktlich und holt mich ab. Auf der Fahrt nach Kiel wird mir immer mullmiger. Ich versuche die Atempausen von meinem Trainer, der ununterbrochen redet, zu nutzen, um etwas zu entspannen. Wer ist hier eigentlich aufgeregter? Wenn das doch bloß alles erst einmal vorbei ist! Daniel rechnet mit einer Zielzeit von 5:17 - Träumer!

Das Wetter meint es gut mit mir - obwohl der Kachelmann immer noch fehlt. 2°C - es ist tronnig und Socken. Gut für Daniel. Kann er wieder seine gelbe Läufer-Sonnenbrille aufsetzen. Ist das cool, man. Nicht dass Sie denken Sportler geben mal so eben 250 Euronen für nix aus. Das muss dann schon eine ganz besondere Rennbrille sein - die Rolex unter den Läufer-Brillen!

Insgesamt 204 Läufer gehen an den Start. Vor uns sind die 10 km-Läufer bereits unterwegs. Eine Stunde nach uns kommen die Halbmarathonis. Es ist ein 10 Kilometer Rundkurs, der immer am Ufer entlang gelaufen wird. Das bedeutet, dass ich insgesamt 8 mal an meinem Auto vorbei muss. Wäre ich alleine gewesen, ich möchte wetten nach dem 4ten Mal spätestens hätte ich mich ins Auto gesetzt und die Homing-Taste gedrückt! Sie sehen schon: falscher Konjunktiv - ich war nicht alleine!

Daniel ist ja sowas von gut! So umgänglich erlebe ich meinen Trainer selten. Von Anfang an die pure Zufriedenheit. Ein Wunder! Und witzig ist er. Einer der Marathonies hat sich die Wangen getaped. Ja wirklich! Dieses blaues Tape-Pflaster rund geschnitten und auf die Wangen geklebt. Ich frage den Profi neben mir, wozu das wohl gut sei? Seine verschmitzte Antwort: "unterstützt das kontinuierliche Gewinner-Grinsen" und dass man das bei mir auch ruhig probieren sollte. Ich schlage fast der Länge nach lang hin. Aber heute ist nichts von schlechter Laune bei mir zu spüren - alles easy!

Daniel ermöglicht mir während der ersten 3 Runden nach der Wende jeweils in seinem Windschatten zu laufen. Der Wind hat nämlich mächtig aufgefrischt. Mit Heiko konnte ich beim Radfahren bereits die Zirkelei mit dem Windschattenfahren üben. Das läuft sich prima so. Daniel schlägt ein moderates Tempo an und ich bleibe ihm immer dicht auf seinen Fersen. In der letzten Runde allerdings kann ich (oder will ich?) das Tempo nicht mehr halten. Ich lege einige Gehpausen ein. Nicht wegen meinem Puls. Irgenwas in meinem Kopf. Es war nicht nötig - ich weiß! Beim nächsten mal wird das kontinuierlicher! (Ich wollte nur einmal einen Marathon laufen und rede jetzt schon vom nächsten! Ich bin echt nicht mehr zu retten.)

Bei Kilometer 28 dann ein echter Einbruch. Leise vor mich hin schimpfend, bin ich kurz davor aufzugeben: "Wozu das alles, ich bin zu alt, ich bin zu dick, ich kann das nicht…". Daniel gallopiert leichtfüßig schon 30 Meter vor mir. Später erzählt er mir, dass er im schlimmsten Fall nicht gewusst hätte, wie er mich da wieder raus kriegt. Aber dank meines Mentaltrainings finde ich aus diesem Loch allein wieder raus. Mein Mentaltrainer orakelte vor dem Lauf, dass ich meinen Einbruch höchstwarscheinlich bei Kilometer 19 haben werde. Ich sollte mir mit geschlossenen Augen vorstellen, dass dort eine Bar sei, mit vielen vergnügten Menschen, die Spaß haben, leckeres Weizenbier trinken etc. Nun laufe ich zwischen Kilometer 28 und 29 auf der Strandpromenade von Kiel und komme doch tatsächlich an der Seabar vorbei - allerdings hat sie die Hausnummer 61. Während ich vor mich hin trotte, überlege ich, das die 61 auf den Kopf gestellt, eine 19 ergibt.
 Tja - man darf es eigentlich niemandem ernsthaft erzählen, aber das hat gewirkt. Fragen Sie nicht wie, warum und wieso, aber es hat gewirkt. Mentaltraining! Ooohhhm .. Völlig verrückt!

Und was hat mich mein Trainer supported. Alle halbe Stunde pünktlich ein schmackhaftes Gel, an jedem Versorgungsstand darf ich weiterlaufen und mein Supporter schleppt Getränke an. Das ist richtig klasse. Ich muss mich um nichts kümmern. Wenn da nur nicht immer dieses ziehende Gefühl wäre, wenn ich wieder an einem Versogungsstand vorbeilaufe. Daniel ist nämlich immer erst einmal selbst mit Essen beschäftigt. Es gibt zwei Versorgungsstationen auf der Strecke und bei jeder hält mein Trainer, um sich mit Kuchen, Müslieriegeln und Schokolade vollzustopfen. Unglaublich, was der Kerl alles in sich hineinstopft. Mit Händen voller Beute erreicht er mich schnell wieder - und ich kriege keinen Bissen runter. Einmal fragt er, ob ich von seiner Schokolade auch mal abbeißen wolle - fast hätte ich mich übergeben. So ein Fressack!.. und kein Gramm zu viel auf den Rippen. Die Welt ist ja so ungerecht!

Auf sein Spielchen, den Läufer vor uns noch einzuholen, habe ich mich natürlich nicht eingelassen. Das war auch nicht abgemacht. Ich wollte nur einmal den Marathon laufen und gut is!

An dieser Stelle sei einmal lobend und anerkennend erwähnt, mit welchem Engagement die ehrenamtlichen Helfer uns versorgen. Keiner baut irgendwas ab, bevor nicht auch der letzte Läufer (also ich) durchgelaufen ist. Danke - Ihre ward alle klasse!

Glücklich und zufrieden bin ich nach  5:49  unter Beifall der Helfer ins Ziel eingelaufen. Ist das ein gutes Gefühl ! Vor dem Weißbier trinke ich erstmal einen halben Liter Wasser. Ich schmecke nur noch Süßes. Ab Kilometer 30 ernähre ich mich nämlich nur noch von Cola. Brrrrrr !

Daniel holt das Auto. Ich ziehe mir trockene Sachen an und auf der Rückfahrt wird nicht viel geredet. Selbst Daniel ist ruhig. Obwohl ich gleich wieder in Farbe sehen kann, wird er morgen die Treppen rückwärts runtergehen gehen, wie ich!

Ich bin stolz! Mein Trainer ist stolz! Ist das schön. Und deshalb habe ich mich auch gleich für den Berlin-Marathon am 25. September angemeldet. Mein Trainer redet gleich von neuen Zielzeiten. Auf 'n Teppich bleiben, Mann!
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